Viele Körperreaktionen und Verhaltensmuster von Hunden sind Relikte aus grauer Vorzeit, als die Tiere noch in Wolfsrudeln durch die Lande zogen. Eines dieser Überbleibsel ist die Scheinträchtigkeit, die im Grunde ein ganz natürlicher hormonell gesteuerter Vorgang ist.
Unabhängig davon, ob eine Hündin gedeckt wurde oder nicht, bildet ihr Körper nach der Läufigkeit das Schwangerschaftshormon Progesteron. Nach einem Plateau auf hohem Niveau kommt es zu einem Abfall der Progesteronkonzentration mit gleichzeitigem Ansteigen von Prolaktin. Prolaktin ist für die Anbildung der Milchdrüse und die auftretenden „Muttergefühle“ neben anderen Hormonen hauptverantwortlich. Das heißt, auch nicht trächtige Hündinnen zeigen Anzeichen werdender Mutterschaft und machen entsprechende körperliche Veränderungen durch. Manchmal wächst sogar der Bauchumfang.
Ursachen
In den wild lebenden Wolfsrudeln, in denen ausschließlich die Leitwölfin Junge bekam, diente dieser Zustand der Arterhaltung. Da der Zyklus der Wolfshündinnen innerhalb eines Rudels mehr oder weniger synchron verlief, konnten die scheinträchtigen Tiere bei der Aufzucht der Welpen helfen und als Ammen einspringen, wenn die Leitwölfin unterwegs auf Jagd war oder zu Tode kam.
Symptome
Für unsere heutigen Haushunde hingegen kann Scheinträchtigkeit extrem belastend sein – körperlich und seelisch. Wobei kleinere Rassen häufiger betroffen sind als große. Bei unkastrierten Hündinnen tritt die eingebildete Mutterschaft – entsprechend dem biologisch vorgesehenen Geburtstermin – etwa vier bis neun Wochen nach der Läufigkeit auf. Hormone haben das Gesäuge anschwellen lassen, jetzt schießt Milch ein. Der Druckschmerz ist für viele Hündinnen so unangenehm, dass sie sich selbst belecken, was den Milchfluss weiter anregt. Meist werden die Hündinnen in dieser Phase auch träge und haben keinen Appetit.
Mitunter gehen die Hündinnen vollkommen in ihrer Mutterrolle auf. Sie adoptieren Stofftiere, Spielzeug oder Pantoffeln als Welpenersatz, ziehen sich in ihr Körbchen zurück, bauen Nester für ihre „Babys“ und bemuttern sie. Mitunter verteidigen sie ihre eingebildeten Jungen sogar aggressiv dem Herrchen gegenüber.
Therapie
Um es noch einmal zu betonen: Scheinträchtigkeit ist keine Erkrankung, sondern ein Zustand. Die Symptome klingen von allein wieder ab, wenn sich der Hormonspiegel der Hündin normalisiert. Was nach etwa zwei bis drei Wochen der Fall ist, in manchen Fällen aber bis zu acht Wochen anhalten kann.
Die hormonelle Ausnahmesituation kann aber für Hund und Halter extrem belastend sein. In solchen Fällen empfehlen wir, das Tier während der Scheinträchtigkeit vier bis sechs Tage mit einem sogenannten Prolaktinhemmer zu behandeln. Es handelt sich hierbei nicht um ein Hormon, sondern dieses Medikament verhindert die Ausschüttung des Schwangerschaftshormons Prolaktin, das für die körperlichen Symptome – Wachsen des Milchdrüsengewebes und Milchbildung – und die Verhaltensänderungen bei der scheinträchtigen Hündin verantwortlich ist. Eine Reduktion der Symptome tritt nach etwa drei bis sieben Tagen ein.
Als wichtige Ergänzung zur Therapie raten wir, das Tier durch häufige Spaziergänge und viel Bewegung abzulenken. Auch sollten Sie Spielsachen, die als Ersatzwelpen herhalten, heimlich aufräumen, wenn die Hündin ihr Körbchen verlassen hat.
Sollte die Hündin sehr stark unter der Scheinträchtigkeit leiden, kann überlegt werden, sie zu kastrieren. An der Tierklinik führen wir etwa die schonende minimalinvasive laparoskopische Kastration durch (siehe unter: www.tierklinik-ismaning.de/laparoskopie-minimalinvasive-kastration/). In jedem Fall darf die OP nicht während der Scheinträchtigkeit erfolgen. Bei nur leicht ausgeprägter Symptomatik würden wir zu einem Prolaktinantagonisten greifen.
Dass Hündinnen, die geworfen haben, nicht mehr scheinträchtig werden, ist ein Ammenmärchen.