Auch Tiere können unter Epilepsie leiden. Bei Hunden zählt die so genannte „Fallsucht“, die vom Jungtier bis zum Senior in jedem Alter auftreten kann, sogar zu den häufigsten Erkrankungen des zentralen Nervensystems. Etwa zwei Prozent aller Hunde sind davon betroffen, Katzen eher selten.
Unter Epilepsie verstehen Ärzte wiederholte Fehlfunktionen des Großhirns, bei der das Gleichgewicht zwischen elektrischer Ladung und Entladung der Nervenzellen vorübergehend gestört ist. Aus dem Nichts geben dabei ganze Neuronenverbände gleichzeitig unkontrolliert Stromstöße ab. Das Großhirn reagiert auf die überschießende elektrische Aktivität mit einem epileptischen Anfall. Diese können verschieden stark ausfallen und hören in den allermeisten Fällen von selbst wieder auf. Manche flauen nach wenigen Minuten ab. Andere dauern nur ein paar Sekunden.
Symptome
Ärzte unterteilen epileptische Erkrankungen grob in zwei Gruppen, je nach Verortung der Fehlfunktion. Wenn der elektrische „Kurzschluss“ nur einzelne Areale des Gehirns umfasst und sich lediglich an einzelnen Körperstellen äußert, spricht man von partieller oder fokaler Epilepsie. Solche herdförmigen Anfälle werden von Tierbesitzern oft nicht als solche erkannt, wenn sie ohne Bewusstseinstrübung ablaufen. Meist äußern sie sich im Zucken der Lefzen, einer Gliedmaße oder einzelner Muskeln. Auch wenn die Tiere nach imaginären Fliegen schnappen, unmotiviert bellen oder kauen, kann das ein Zeichen für einen kleineren epileptischen Anfall sein.
Bei generalisierten Anfällen hingegen sind von Anfang an beide Großhirnhälften beteiligt. Sie breiten sich in der Folge über den gesamten Tierkörper aus. Dies ist bei etwa 80 Prozent der tierischen Patienten der Fall.
Generalisierte Anfälle werden in verschiedene Typen unterteilt, wovon der tonische (von Tonus = Spannung) Anfall bei Hunden am häufigsten vorkommt. Manchmal setzt er ohne Vorwarnung ein. Doch im Allgemeinen durchläuft er drei Stadien.
- Stadium eins: Normalerweise kündigt sich ein Anfall durch leicht verändertes Verhalten an. Die Patienten sind Minuten bis Stunden vor dem Anfall unruhig, lecken die Lippen, sie speicheln und urinieren vermehrt. Manche Tiere ziehen sich zurück oder suchen die Nähe ihres Halters und bellen übermäßig.
- Stadium zwei: Der eigentliche Anfall beginnt urplötzlich mit einer Versteifung (hochgradigen Anspannung) der Skelettmuskulatur. Die Hunde fallen mit ausgestreckten Beinen um, sind nicht mehr ansprechbar und verlieren das Bewusstsein. Auch krampfartige Muskelzuckungen und Paddelbewegungen in der Luft sind typisch für solche Anfälle, bei denen sich auch Blase und Darm entleeren können. Einige Hunde speicheln zudem stark oder winseln. Meist ist nach zwei Minuten alles vorbei. Häufig haben Epileptiker ihre Anfälle abends, nachts oder frühmorgens, wenn sie entspannt sind.
Einzelne Anfälle haben zunächst keine gesundheitlichen Folgen, es sterben kaum Nervenzellen ab. Lebensbedrohlich wird es allerdings, wenn – was selten ist – ein Anfall länger als zehn Minuten dauert oder sich die Anfälle so schnell wiederholen, dass der Hund dazwischen nicht mehr zu Bewusstsein kommt. Dann spricht man von einem „Status epilepticus“, und das Tier gehört unverzüglich auf die Intensivstation. Auch Serienanfälle – mehrere innerhalb eines Tages – können zu bleibenden Hirnschäden oder einem Status epilepticus führen. Auch diese Tiere sind Notfälle. - Stadium drei: Nach dem Anfall sind die meisten Tiere erschöpft und zunächst benommen. Während sich einige Hunde wenige Minuten nach dem Anfall wieder vollständig erholt haben, kämpfen andere noch Stunden später mit neurologischen Ausfällen: Dazu gehören Drangwandern, Sehstörungen, Desorientierung, Steifheit, wackliger Gang oder abnormer Hunger und Durst. Die Gefahr, dass die Tiere Fremdkörper fressen, ist jetzt besonders groß.
Ursachen
Epilepsien können angeboren sein oder sich im Laufe des Lebens entwickeln. Die Ursachen sind in jedem Fall vielfältig. Wobei Veterinärmediziner auch hier grundsätzlich drei Formen unterscheiden.
Primäre Epilepsie: Welcher Auslöser hinter der primären Epilepsie steckt, der häufigsten beim Hund, ist bis heute ungeklärt. Daher nennen Wissenschaftler und Ärzte sie auch idiopathisch, was „ohne bekannte Ursache“ bedeutet. Das Gehirn der Tiere weist keine anatomischen Veränderungen auf, und die Patienten zeigen zwischen zwei Anfällen auch keine klinischen Symptome. Nach heutigem Wissensstand wird eine vererbbare genetische Ursache vermutet, was dazu geführt hat, dass diese Art auch genetische Epilepsie genannt wird.
Bei einigen Rassen wurde bereits eine genetische Disposition nachgewiesen. Beispiel Rhodesian Ridgeback: Erst 2017 hat ein internationales Forscherteam einen Gendefekt identifiziert, der für eine Epilepsieform verantwortlich ist, an der bis zu zwei Prozent der Rassehunde leiden. In diesem Fall wird die Krankheit autosomal-rezessiv vererbt. Das heißt, so lange nur ein Elternteil den Gendefekt trägt, werden die Nachkommen nicht erkranken. Erst wenn beide, Rüde und Hündin, mit dem Merkmal belastet sind, können sie, ohne selbst krank zu sein, die Epilepsie weitervererben. Auch bei Golden Retriever, Deutschem Schäferhund und Berner Sennenhund geht man von einer erblichen Komponente aus.
Strukturelle (früher: sekundäre symptomatische) Epilepsie: Anders sieht es bei dieser Form der Epilepsie aus. Hier lösen andere Krankheiten des Gehirns die wiederkehrenden Anfälle aus. Ursache kann ein Hirntumor sein, ein Schädeltrauma, eine Hirnblutung oder eine Gehirn(haut)entzündung. Diese Art wird auch strukturelle Epilepsie genannt, weil man im MRT Veränderungen im Gehirn sieht. Außerdem zeigen die Tiere auch zwischen zwei Anfällen neurologische Ausfälle.
Metabolische Epilepsie: Bei dieser Form der Epilepsie erhöhen sogenannte metabolische (organische) Erkrankungen, wie eine gestörte Leberfunktion, eine Unterzuckerung oder auch Veränderungen der Blutsalze insbesondere des Calciumspiegels, das Anfallsrisiko. Es ist wichtig, solche Störungen sofort festzustellen und zu behandeln, da diese Form der Anfälle häufig nicht auf klassische antiepileptische Therapie anspricht.
Achtung: Eine Sauerstoffunterversorgung des Gehirns die zum Beispiel im Rahmen einer Herzerkrankung auftreten kann, kann zu Ohnmachtsanfällen (Synkopen) führen, die nicht mit echter Epilepsie zu verwechseln sind.
Diagnose
Die Diagnose erfolgt im Ausschlussverfahren. Dabei tasten wir uns Schritt für Schritt voran. Am Anfang steht die klinisch neurologische Untersuchung und sorgfältige Anamese, um andere mögliche Auslöser für die Krampfanfälle auszuschließen.
Metabolische Ursachen versuchen wir durch ein komplettes Blutbild inklusive Säure-Base- und Elektrolyt-Haushalt sowie Leberfunktionstest abzuklären.
Um danach Aufschluss über die Epilepsieform – genetisch oder strukturell – zu erhalten, sind wir auf weiterführende klinische Diagnostik angewiesen. Durch bildgebende Verfahren wie MRT oder CT ist die Veterinärmedizin in der Lage strukturelle Hirnveränderungen wie z.B. Tumoren zu identifizieren. Durch eine Gehirnwasser-Untersuchung kann man zudem feststellen, ob eine Entzündung vorliegt.
Erst wenn wir alle anderen Ursachen für die Krampfanfälle ausgeschlossen haben, können wir von einer genetischen Epilepsie ausgehen. Falls der erste Anfall bis zum sechsten Lebensjahr des Tieres aufgetreten ist, ist diese Krankheitsform wahrscheinlich.
Therapie
Die Behandlung einer Epilepsie wird von der Ursache bestimmt.
Strukturelle Epilepsien werden nach der Grunderkrankung behandelt. Bei Tumoren kann das Bestrahlung, OP oder Chemotherapie bedeuten.
Bei Infektionen, die zu Hirnhautentzündungen führen, hängt die Therapie von der Art der Infektion ab. Eitrig-bakterielle Entzündungen behandeln wir mit Antibiotika, eine Toxoplasmose-Infektion beispielsweise mit Antiparasitika.
Zusätzlich zur Behandlung der Grundursache setzen wir bei struktureller Epilepsie auch Antiepileptika ein (übrigens dieselben wie in der Humanmedizin). Diese speziellen Medikamente sind die einzigen, die man bei genetischer Epilepsie einsetzt.
Bei einer genetischen Epilepsie entscheiden die Häufigkeit, Intensität und Dauer der Anfälle darüber, ob und wie das Tier behandelt werden muss. Da genetische Epilepsien nicht heilbar sind, können wir nur im Rahmen einer medikamentösen Dauertherapie versuchen, die Anfälle zu kontrollieren und abzuschwächen. Dabei arbeiten wir eng mit den Tierbesitzern zusammen. Die Halter müssen nicht nur konsequent die Tabletten verabreichen, sondern sollten auch eine Art Anfalls-Tagebuch führen. Ihre Beobachtungen sind für uns wichtig, um den Therapiebeginn und die Dosierung der Antiepileptika festzulegen.
Eine Therapie ist nötig bei
- mehr als einem Anfall pro Quartal
- zunehmender Anfallsfrequenz und -schwere (z.B. länger als fünf Minuten Dauer)
- Serienanfällen (mehr als zwei in 24 Stunden) oder Cluster-Anfällen (mehrere aufeinanderfolgende Anfälle)
- Status epilepticus (Anfallsdauer mehr als fünf Minuten oder zwei Anfälle kurz hintereinander, ohne dass das Bewusstsein wiedererlangt wird)
Bei optimaler Therapie können die meisten Hunde trotz Epilepsie ein gutes Leben führen und so alt wie gesunde Artgenossen werden. Manche unserer Patienten sind bereits seit vielen Jahren bei uns in Behandlung. Allerdings kann es Monate dauern, bis die Antiepileptika richtig eingestellt sind. Leider sind auch bis zu ein Viertel aller Epileptiker (oft Border Collies und Australian Shepherds) therapieresistent.